12.03.2021
365 Tage geschlossen, 365 Tage Hoffnung

In der Woche vor dem offiziellen Beschluss die Clubs zu schließen saßen wir – die Betreiber des Harry Klein – täglich zusammen und überlegten und diskutierten, wie wir mit der damaligen Situation umgehen können. Die Nachrichten überschlugen sich und nachdem wir am Mittwoch, den 11.03.2020 noch geöffnet hatten, beschlossen wir den Club am 12. März nicht mehr zu öffnen. Wir konnten dies aus moralischen und gesellschaftlichen Gründen nicht mehr vertreten.

Gleichzeitig stellten wir uns die Frage, wie es denn für die Menschen – die Clubgänger*innen, unseren Gästen – sein wird nicht mehr ihren gewohnten Clubbesuch am Wochenende zu feiern. Uns war bewusst, dass hier ein Leere entsteht. Sofort kam die Idee auf Livestreams, die wir aus dem Club senden. Nach Absprache mit den lokalen DJ-Künstler*innen & VJ*s und der Klärung der technischen Umsetzung konnten wir bereits eine Woche später am 18. März mit dem ersten Livestream auf Sendung gehen.

Zuerst gab es allerseits die Hoffnung nach etwa zwei Monaten wieder mit einem normalen Clubbetrieb starten zu können. Diese Hoffnung hat sich jedoch recht bald zerschlagen.

Am 18.03. startete ebenfalls das Format „United We Stream” aus Berlin mit Livestreams und so kam es im April zu einer Formierung von vielen bayerischen Spielstätten. United We Stream Bayern wurde ins Leben gerufen. Die Hoffnung bestand darin, Gelder für Spielstätten einzusammeln, die durch die Pandemie vor einer endgültigen Schließung bedroht waren. Auch diese Hoffnung wurde schnell genommen, denn die Möglichkeiten sich entsprechend zu positionieren, um viele Unterstützer*innen zu erreichen, waren sehr reduziert.

Wir erlebten jedoch sehr viel Solidarität. Techniker*innen und Künstler*innen und viele selbst geleistete Arbeitsstunden ermöglichten uns dem Publikum ein kontinuierliches Livestream-Programm anzubieten. Die ersten staatlichen Hilfen sicherten uns den Erhalt der Spielstätte und die Vermieterin zeigte sich nach einer zuerst zögerlichen Phase hilfsbereit und kam uns entgegen. Die Crowdfunding Kampagne „Harry Klein – Ich Mach Mit” brachte uns und den mitmachenden Künstler*innen finanzielle Mittel. Dafür sind wir allen Unterstützer*innen sehr dankbar. Die Hoffnung, mit den zuvor gebildeten Rücklagen auszukommen, wuchs.

Für den Juni war unser jährliches Marry Klein Club Festival geplant. Als viele Mitbewerber*innen bereits aufgegeben hatten Livestreams zu produzieren, dachten wir: „Jetzt erst recht!”. Wir wollten diesen – für uns so wichtigen Monat – der ausschließlich mit weiblichem Programm besetzt ist, keineswegs ausfallen lassen. Denn dieser Monat birgt ebenfalls Hoffnung: Die der Gleichstellung im männerdominierten elektronischen Musik-Business. Und wir erkannten darin die Chance diesem Format mehr Sichtbarkeit zu verleihen. Neben den Musik-Livestreams erfanden wir den Marry Klein Kulturdonnerstag, in dem wir Themen wie Awareness, Sexismus, Gender-Gap uvm. mit Akteur*innen der Szene diskutiert werden.

Im Sommer 2020 engagierten wir uns dann beim CSD München, präsentierten Festival-Formate als Livestream und Mitte Juli sprach uns die Stadt München an eine Open-Air Fläche zu bespielen, die vom Kulturreferat der Landeshauptstadt unterstützt wurde. In einer „Hau Ruck” Aktion und unter Einbezug der vielen Künstler*innen und Kollektive, die mit uns die Livestreams im Frühjahr produzierten, entstand der „Haralds Kollektivgarten” im Weißenseepark. Wir blicken heute auf 7.500 Besucher*innen zurück, welchen wir mit dem Pop-Up-Biergarten ein wenig Normalität zurück geben konnten. Sich mit Freund*innen zu treffen, dazu elektronische Musik zu hören und den Künstler*innen die Möglichkeit zu geben vor Publikum zu spielen, brachte Hoffnung.

Die drohende zweite Welle der Pandemie stand bevor, jedoch motivierte uns das „Neustart Kultur” Programm des BKM weiter zu machen. Wir beantragten finanzielle Mittel, die uns die Hoffnung gaben, unsere Livestreams weiter zu betreiben, ja sogar den Künstler*innen und Techniker*innen adäquate Gagen zu bezahlen. Es ermöglichte uns zudem national und international bekanntere Act*s einzuladen, um auch den Fans wieder mehr Normalität zu bieten.

Dieser Zustand hält an. Die finanzielle Absicherung für den Club ist durch das bayerische Spielstättenprogramm gewährleistet und wir hoffen für uns, für die vielen Kulturschaffenden und unsere Gesellschaft, dass wir diese Pandemie gemeinsam in den Griff bekommen. Und wir planen weiter. Inzwischen entsteht aus dem Zusammenschluss mit den Künstler*innen-Kollektiven eine Genossenschaft die den Kollektivgarten im Weißenseepark plant. Die Zusage für ein weiteres Projekt ist eingetroffen. Wir bleiben also insgesamt voller Hoffnung.

Am 18.03.2021 um 20 Uhr setzen wir uns in einem „Harry Klein Kulturdonnerstag” mit dem Thema „Ein Jahr Livestreams: elektronische Clubkultur – was nun?” auseinander. Wir schauen zurück und fragen nach: Welche Möglichkeiten bieten Streams, die eine Live-Veranstaltung vielleicht nicht haben? Funktioniert Techno ohne Club? Wie funktioniert Streaming überhaupt? Werden wir in Zukunft vielleicht nur noch digital feiern? (Spoiler: Bitte, bitte nicht.). Gäste: DJ Bebetta, DJ Kate, VJ Sicovaja, Michail Stangl (Boiler Room), Peter Fleming (Harry Klein), Thomas Bauer (Puls), Thomas Meinecke (Autor), Moderation Uh-Seok Han. Die Sendung kann über unseren YouTube Kanal live gesehen werden (https://www.youtube.com/c/HarryKleinClub2021) und bleibt dort zudem als Video on Demand.

Den Link zur Facebook-Veranstaltung findest du hier.